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Site-Info: Editorial > Coaster Basics > Typhoon > Wie entsteht eine Achterbahn: Seite 5

Typhoon - Wie entsteht eine Achterbahn: Konstruktion - Wegweiser der Fertigung

Josef Herzog bei der Konstruktion des Typhoon Fahrzeuges am CAD Arbeitsplatz

"Gerade einmal sechs Monate waren veranschlagt, um den ersten Euro-Fighter von Grund auf neu zu entwerfen", erinnert sich Gerstlauer-Konstrukteur Josef Herzog. Dabei kennt er das Geschäft aus dem Effeff: Er hat schon für Oscar Bruch gearbeitet, war am Eurostar konstruktiv beteiligt und treibt nun die Entwicklung des Eurofighter voran. Im Frühjahr 2003 wurde der Prototyp im dänischen Bonbon Land vorgestellt, keine zwölf Monate später folgte mit Typhoon die zweite Bahn im Bobbejaanland. Dabei werden baugleiche Fahrzeuge sowie identische Bremsen und Antriebe genutzt, die belgische Anlage weist jedoch ein gänzlich anderes Layout auf und ist im Steuerungsablauf durch den Einsatz von bis zu acht Fahrzeugen weitaus komplexer.

Für die Realisierung wurden Berechnungen vorgenommen, Hunderte von Einzelbauteilzeichnungen mittels eines computerunterstützten, technischen Zeichenprogramms erstellt und Zulieferer ausfindig gemacht. "Bis wir beispielsweise die richtige Kette für den neuen Liftturm gefunden hatten, wurden Dutzende Produktkataloge gewälzt und diverse Gespräche mit potenziellen Zulieferern geführt", so Siegfried Gerstlauer. Für die Gerstlauer Elektro GmbH ist die Realisierung einer Achterbahn das tägliche Geschäft, für ihre Zulieferunternehmen eine äußerst ungewöhnliche Unternehmung.

Eine Achterbahn will gut durchdacht sein: Ohne Fertigungszeichnungen und Dokumentation der Berechnungen kann der Bau nicht begonnen werden. Eine entsprechende Koordinierung der Aufgaben und Projektabschnitte ist zwingend notwendig. Folglich entsteht vor jedem Projektbeginn eine Planungsübersicht, die kausale Zusammenhänge und zeitliche Abläufe miteinander vereint: Beispielsweise kann die Schiene erst gefertigt werden, wenn sämtliche Berechnungen abgeschlossen sind. Für die Auslegung des Tracklayouts muss eine klare Schnittstelle zwischen dem Fahrzeug und der Schiene definiert werden: So ist beispielsweise zu klären, welche Figuren und Fahrverläufe die Wagen überhaupt bewältigen sollen. Das Fahrzeug wird dann speziell auf die möglichen Kurvenradien, Verdrehwinkel der Achsen zum Stahlchassis und die auftretenden Belastungen abgestimmt. Ein schlankes Fahrzeugdesign erfordert schließlich keine Überdimensionierung. "Je nach Kapazitätsauslastung beauftragen wir weitere Ingenieurbüros," erläutert Siegfried Gerstlauer das Vorgehen. Bei einem in der Unternehmensgeschichte rekordverdächtigen Anlagenoutput von sechs Bahnen für die Saison 2004 wollten die Aufgaben auf die 30 Mitarbeiter gut verteilt werden.

Regelwerk der Konstruktion

Am Anfang der Prozesskette steht die Grundidee des Layouts. Danach folgt die Überlegung, wie das Fahrzeug ausgestaltet wird, inklusive der Konstruktion und Entwicklung des Fahrwerks. Bei der konstruktiven Gestaltung der Bauteile spielen Betriebsfestigkeitsnachweise eine entscheidende Rolle. Erst nachdem für jedes Bauteil je nach seiner Belastung ein mathematischer Festigkeitsnachweis erbracht wurde, kann die Fertigung beginnen. Der entsprechende Stand der Technik ist in Normungen wie der Deutschen Industrie Norm (DIN) oder der Europäischen Norm (EN) aufbereitet und wie in einer Bibliothek greifbar.

Das Universalwerkzeug des Konstrukteurs ist das CAD, ein computerunterstützer Designprozess, welcher die klassischen Zeichentische und den Tuschekasten gänzlich verdrängt hat. Heute stehen in den Konstruktionsbüros einzig und allein nur noch Computer. Diese sind in einem Netzwerk mit einem Plotter verbunden, der Ausdrucke bis zu DIN A0 ermöglicht. Derartige 1.3 x 0.8 Meter große Zeichnungen sind nötig, um selbst auf der Baustelle kleine Details zu erkennen. Die Vorteile der computerunterstützten Konstruktion ermöglichen eine schnelle Änderung von Konstruktionen, Normteile wie Schrauben, Federn oder Muttern können aus Datenbanken eingefügt werden und die für den Einkauf notwendigen Stücklisten - eine Art Bestellliste - können aus den Zeichnungen abgeleitet werden. Zudem ist der schnelle Austausch von Zeichnungen mit Zulieferen mittels E-mail heutzutage unverzichtbar. Eine Loopingbahn wie Typhoon besteht aus Tausenden von Einzelteilen, ein wahrlich komplexes Puzzlespiel, welches dem Konstrukteur einiges abverlangt. Einen Ausbildungsberuf oder Studium zum "Achterbahnbauer" sucht man vergeblich, vielmehr verlangt der Tätigkeitsbereich eine interdisziplinäre Ausrichtung auf weite Bereiche des Stahl- und Maschinenbaus wie auch der Elektrotechnik. "Heute arbeitet man am Fahrzeug und morgen steht die Auslegung der Sohle auf dem Programm," fasst Josef Herzog sein Aufgabengebiet schmunzelnd zusammen.

Nach der Spezifikation des Fahrzeugs beginnt die Ausgestaltung des Layouts. Zuerst nur hinsichtlich der Belastungen auf die Mitfahrer, dann auch bezogen auf die Stahlkonstruktion. Das Ziel der Konstrukteure ist es, die Idee und das angedachte Streckenlayout nach dem Stand der Technik umzusetzen. Festigkeitsnachweise wollen erbracht werden, Sicherheitsmechanismen ausgelegt sowie Bauteile dimensioniert und ausgestaltet. Ein Netz aus Stahlstützen und Verstrebungen hält die Achterbahn zusammen und leitet die hochdynamischen Lasten sicher über das Fundament ins Erdreich. Bei einer Beschleunigung von 5g, dem fünffachen der Erdbeschleunigung, wiegt beispielsweise das zweieinhalb Tonnen schwere Gefährt plötzlich 12.5 Tonnen - eine regelrechte Schwerstarbeit für das Tragwerk.

Anhand der mathematischen Berechnungen und Statiknachweisen wird anschließend das Tragwerk ausgestaltet - hohes Augenmerk wird hier auf die Schweisverbindungen der einzelnen Rohre und Flansche gelegt. Dabei soll das System Achterbahn an die Extreme gehen und gleichzeitig den Sicherheitsbestimmungen entsprechen. Sicherheit beim Bau von Vergnügungsanlagen wird groß geschrieben, daher wird auch schon frühzeitig, beginnend mit der Entwicklungsphase, seitens Gerstlauer mit dem TÜV München zusammengearbeitet, der ein großes Know How im Achterbahnbau besitzt.

Layoutberechnung

Übersicht Layout - Von der Skizze zu den Fertigungsdaten

Das Layout ist der geometrische Entwurf des Schienenweges, der die genaue Abfolge von Ab- und Auffahrten wie auch Inversionen abbildet. Die zeichnerische Darstellung besteht aus Grundriss und Fahrbahnabwicklung.

Grundriss: Fahrstrecke und Herzlinie sind abgebildet - Vergrößerung mit Linksklick

Der Grundriss zeigt den Schienenverlauf aus der Luft betrachtet, während die Fahrbahnabwicklung den Streckenverlauf abgerollt in der Ebene darstellt. Dabei ist der Höhenverlauf ersichtlich. Angaben wie Neigungswinkel, Radien und Aufstützpunkte werden u.a. als Zahlenwerte dargestellt.

Fahrbahnabwicklung - Vergrößerung mit Linksklick

Das 3D-Layout ist eine Kombination aus Grundriss und Fahrbahnabwicklung. Dieses ergibt sich, wenn die Abwicklung ausgeschnitten und auf den Grundriss aufgeklebt würde. Ein derartiges 3D-Modell dient primär der Visualisierung des Schienenverlaufes.

3D-Layout - Vergrößerung mit Linksklick

Das Layout ist als Teil des Designprozesses das Ergebnis der Berechnung und Gestaltung des Fahrweges nach kinematischen und kinetischen Gesichtspunkten. Dieser Arbeitsbereich - Dynamics genannt - betrachtet Geschwindigkeiten, Beschleunigungen und die durch bewegte Massen entstehenden Kräfte. Im Hause Stengel werden diese Berechnungen in Bezug auf den Fahrgast, das Fahrzeug und die Schiene durchgeführt, um Maximalbelastungen zu bestimmen, welche die Verträglichkeit für den Fahrgast sicherstellen und als Grundlage für die Auslegung des Tragwerks dienen.

Neben dem Layout und den Dynamics ist die Statik der dritte Teilbereich des Achterbahndesigns. Dabei wird die Stützkonstruktion ausgelegt, die notwendigen Querschnitte der Stützen bestimmt und die Sohle ausgelegt, um die dynamischen Lasten des Achterbahnzuges - bis zu mehrere Tonnen - und das Eigengewicht der Stahlstruktur sicher aufzunehmen. Erst wenn der Betriebsfestigkeitsnachweis der Stahlkonstruktion erbracht wurde - dieser schließt bis zu 100 Millionen Lastspiele, also 100 Millionen Achterbahnfahrten ein - kann diese in Produktion gehen.

Werner Stengel - Bild: Andreas Fechner

Das Sicherheitsbestreben teilt auch das Ingenieurbüro Stengel in seiner rund 40-jährigen Geschichte: Der diplomierte Bauingenieur Werner Stengel gilt als der "Herr des Schreckens" und war in seiner Laufbahn an rund 600 Achterbahnen beteiligt. Heute leitet sein Schwiegersohn Andreas Wild zusammen mit dem Geschäftspartner Harald Wanner das tägliche Geschäft. Wanner hat schon zu Werner Stengels aktiver Zeit Computeralgorithmen entwickelt, die Raumkurve definiert und Dynamikrechnungen verfeinert. Heute ist er technisch versierter Ansprechpartner in allen Belangen und erstellt die Dynamik der Bahnen. Das Tätigkeitsfeld ihres zehnköpfigen Teams besteht in der exakten Auslegung des Schienenlayouts auf Basis von (üblicherweise) vordefinierten Layouts der Hersteller. Die Arbeiten der Münchner beinhalten die Verfeinerung des Layouts hinsichtlich seiner Dynamik, die Statiknachweise von Schiene und Tragstruktur und setzt sich schließlich in der Berechnung der Fundamentlasten fort. Viele renommierte Achterbahnhersteller wie Intamin und Premier Rides geben die Berechnung von Statik und Dynamik ihrer meisten Schienenbahnen an das Ingenieurbüro Stengel. Diesem Vorgehen ist auch Gerstlauer gefolgt.

Ausgangspunkt der Layoutüberlegungen bei Typhoon war die Grobgestaltung der Sohle und der Schienenabwicklung, auf denen das Drahtmodell für die ersten Messepräsentationen basierte. "Dadurch, dass das Ingenieurbüro Stengel ein Layout von uns bekommt, sind unsere Vorstellungen klar definiert," erklärt Siegfried Gerstlauer. "Zusätzlich erfolgten vor der Projektvergabe Voruntersuchungen für unser neues Fahrzeug, die unter anderem die maximal möglichen Beschleunigungen und die minimalen Schienenradien festlegen." Eine klare Schnittstellendefinition regelt von Anfang an die Zusammenarbeit: "Das weitere Fahrzeugdesign wie auch das Layout haben sich daran zu orientieren," kommentiert Siegfried Gerstlauer.

Das Ingenieurbüro Stengel optimiert mittels ausgeklügelter, numerischer Rechenalgorithmen die Schiene im Computer derart, dass die Beschleunigungen für die Fahrgäste im Rahmen des Verträglichen bleiben. Jede Änderung der Richtung bewirkt eine Beschleunigungskomponente, und jedes Achterbahnlayout bietet diese zur Genüge: Kurven, Abfahrten, Steilkurven und Inversionsfiguren wollen auf ihre Fahrbarkeit hin untersucht werden. Dabei greift das Ingenieurbüro Stengel auf einen weitreichenden Erfahrungsschatz zurück. Schlagwörter wie Herzlinie oder Raumkurve wurden im Hause Stengel definiert und spielen eine entscheidende Rolle bei der Findung des idealen Verlaufs der Schienenrohre im Raum.

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Die Datenmenge ist dabei so umfangreich, dass sie nur noch von selbst erstellter Software verwaltet werden kann. 57.000 Din-A4 Blätter würden die angestellten Berechnungen für Typhoon füllen. "Ohne Einsatz von Computern wären die Achterbahnen von heute nicht denkbar," sagt Gesellschäftsführer Andreas Wild. "Speziell durch die Entwicklung und Umsetzung unseres Raumkurven-Programmes wurde es erst möglich, weichere und glattere Bahnen zu entwickeln und den Herstellern äußerst präzise Fertigungsvorgaben zu machen. Ohne den Einsatz modernster Werkzeuge wären die Achterbahnen unter der Kürze der Entwicklungszeit heute nicht mehr möglich."

Hunderte von Arbeitsstunden hat das Ingenieurbüro Stengel alleine für Typhoon aufgewendet. Auch hier unterstützen moderne 3D-CAD Systeme den Konstrukteur, die Grenzen der biodynamischen Verträglichkeit der Fahrgäste auszuloten. Anhand der CAD-Daten kann eine Simulation der Achterbahn durchgeführt werden, und damit sind erste Erkenntnisse in Sachen Beschleunigungskräfte und dynamischen Verhaltens der Fahrzeuge weit vor dem Bau des Schienenlayouts erhältlich. So sind für diskrete Punkte auf dem Parcours die Verdrehwinkel des Fahrzeugs ersichtlich, die Geschwindigkeit und die resultierende Beschleunigung ablesbar sowie die Fahrtzeit bestimmbar. Damit hat der Auftraggeber die Möglichkeit, die Blockzeiten zu kontrollieren oder kann überprüfen, ob das Fahrzeug überhaupt in der Lage ist, die engen Verdrehungen in den Kurven und Rollenfiguren zu absolvieren.

Das Team des Ingenieurbüro Stengel vor dem Intamin Megacoaster Goliath - Bild: Andreas Wild

Am Ende der Arbeit des Ingenieurbüros Stengel stehen die Fertigungsdaten in Form präziser 3D-Raumkoordinaten für die Schiene und Fertigungsanweisungen für die Stahlstruktur. Eine 10 Meter lange, stark gekrümmte Schiene wie zum Beispiel die Einfahrt in eine Heartline Roll kann schnell auf 500 Stützpunkte und mehr im Raum kommen. Ein derart feines Abbild der Schiene ist jedoch für kein Geld der Welt bei einem Fertiger umsetzbar. Daher werden die stetigen Radienübergänge der Raumkurvenschiene in diskrete Biegeanweisungen mit etwa 5-15 verschiedenen Radienwerten pro Schienenstück umgewandelt. So betrachtet das Ingenieurbüro Stengel das linke und rechte Schienenrohr der Gerstlauer Zweigurtschiene und gibt für die jeweiligen Abschnitte absolute Radienwerte an, die über dem Umfang des kreisrunden Schienenrohres beliebig verteilt sein können. Der Fertiger kann dann das Schienenrohr auf dem vorgegebenen Längenabschnitt mit einem konkreten Radius biegen. Die im Rechner noch hochpräzise Raumkurve wird also in eine einfache, handhabbare Struktur umgewandelt. Dass dabei ein Kompromiss hinsichtlich der Fahreigenschaften eingegangen werden muss, liegt auf der Hand. Folglich ist ein gut gewählter Kompromiss zwischen Komplexität und Fertigungshandhabbarkeit mitentscheidend für den Erfolg der Achterbahn.

Am Ende des Konstruktionsprozesses werden die Daten in Form von Zeichnungen und Tabellen auf elektronischem Wege dem Hersteller übermittelt. "Prinzipiell kann nach den Daten des Ingenieurbüros Stengel direkt gefertigt werden. Meistens werden die Daten jedoch noch an die örtlichen Gegebenheiten beim Schienenfertiger angepasst," erläutert Siegfried Gerstlauer den nachfolgenden Prozess. Die Schienenfertigung geschieht je nach Auslastung im Hause Gerstlauer oder wird an Dritte weitergegeben.

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